
Meine "Animus Annalen" (ein Bundesordner, Worddateien und ein sehr kleines Notizbüchlein für das Internet) besagen, dass wir uns im Juni 2004 auf einer Internetkontaktseite kennengelernt haben. Giuseppes Horoskop kombinierte sich so wunderbar mit meinem (wir haben gradgenau denselben Waage-Aszendenten), dass ich ihm an sich genügend Gewicht und Aufmerksamkeit widmete. Der von Anfang an gegenseitig sehr romantisch gehaltene Kontakt versandete aufgrund von Sprachschwierigkeiten. Ich kann zuwenig Italienisch und Giuseppe war mit der englischen Korrespondenz überfordert, die ich initiierte. Und natürlich war da wieder das geographische Problem, das zwischen der Schweiz und Süditalien irgendwie aufzuheben gewesen wäre. Und noch ist. Nach Italien zu ziehen kommt für mich natürlich nicht auf die gleiche Art und Weise in Frage wie nach Deutschland, eben der Sprache wegen. Aber angeblich kann sich Giuseppe einen Wegzug aus Italien vorstellen. Das würde neue Perspektiven eröffnen, da es in der Schweiz ja auch einen italienisch sprachigen Teil gibt.
Ich spürte schon damals: der Mann ist ein Phänomen. Nicht nur, weil er äusserlich ein perfekter Projektionsträger meiner Sehnsüchte darstellt: viele Italiener tragen ja das archetypisch Väterliche und Mütterlich zugleich leibhaftig auf sich und im Gesicht, weil sie kindlich charmant lächeln können. Giuseppe hat aber auch ein Herz für Randständige und Aussenseiter, er arbeitet mit Behinderten. Darin sehe ich die Chance einer Akzeptanz für meine geprellten Seiten, bzw. Mankos, wie’s Dr.Prank eher interpretiert haben möchte. Ich brauche so etwas wie elterliche Nacherziehung, bzw. „Säuglings Nachbetreuung“. Das fordert doch tatsächlich viel Toleranz von einem Partnerkandidat: wer wünschst sich schon ein spätpubertierendes Baby zum Freund, der eine neurotische Abwehr entwickelt hat?
Das ist ja nur ein Teil von mir. Ein nicht zu unterschätzender aber. Und eben erst noch einen, für den ich mich lange Jahre verurteilt habe, und diesbezüglich immer noch unwirsch mit mir bin. Ich weiss aber auch, dass ich eine ehrliche und fair gehaltene Gefühlsqualität jemandem entgegen tragen kann, den ich lieb hab. Und dieses Liebhaben ist -–auf Distanz zumindest – bei Giuseppe sehr gross. Insider von Nik Morgen wissen auch über die Signifikanz dieses Vornamens für mich Bescheid. Einem „Josef“ ist das Vorwort im Buch gewidmet. Und diese „Josef-Geschichte“ wird im Buch verschlüsselt, aber ausführlich entfaltet.
Ausserdem ist Giuseppe religiös. Nicht Christ wie ich, sondern buddhistischer Lehrer. Ich bin überzeugt, wir würden zur mystischen Mitte beider Anschauungen vorstossen und darin vielleicht sogar gegenseitig ein bisschen anschmelzen. Ich will mich jedenfalls nun stärker mit dem Buddhismus auseinandersetzen und mein Italienisch aufbesser. Schon heute werde ich eine Bibliothek stürmen.
Ich habe Giuseppe einen Fragebrief zu senden versucht (ich hab noch keine funktionierende e-mail Adresse von ihm, wo ich Anlagen mitschicken kann) - in Basic English. Auf der Kontaktseite hat er mein „Sono innamorato di te“ erwidert: „Anch’io di te“. Nun muss ich natürlich wissen, wie ernst gemeint das ist. Spiel ist ja gut und recht. Das will ich auch. Aber es braucht ziemlich viel Logistik, bis wir zusammen unter einem Dach sind.
Ich bin ungeduldig und möchte in seine starken Arme fliegen. Der eine davon ist die ganze „Strecke“ über mit chinesischen Zeichen tätowiert: Vielleicht steht da übersetzt mein Name und meine Adresse drauf wie bei einer Passkontrolle? Gestern abend aber hiess es in der Gottesdienst-Lesung: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.“ Ich brauch mich also nicht zu „ereifern“? Wie mach ich das nur?
Heute abend lernte ich in der Offenen City Kirche einen Derwish Tanz und betrachtete es als Übung für die bevorstehende Verschränkung oder Umarmung der verschiedener religiöser Auffassung von Giuseppe und mir.
Die Ereignisse überstürzen sich diese Tage. Ich habe italienisch sprachige Lehrmittel, Musik CD mit Canzoni und englische Bücher über Sutras und buddhistische Imaginationsübungen aus Bibliotheken geholt. Eifrig übte ich mich im Sprechen und tanzte zu der gefühlsgeladenen Musik. Heute morgen stahlen sich gar Tränen ihren Weg auf die Matratze, als ich mit dramatischen, italienischen Liebesliedern geweckt wurde. Ich zerrinne im Gefühle der Verliebtheit und der Sehnsucht über die weite Luftlinie in den Süden zu dem Herzen dieses Menschen. „I’m struck by the love you have for me“, schrieb mir der Geliebte im kleinen Kontaktfenster. Und ich schrieb zurück: "It’s easy to love you. It’s harder to love me. But perhaps you are able to. I hope I get an opportunity to explain the way I feel for you.“ Online fand ich ihn heute nicht. Aber seine aktuelle e-mail Adresse teilte er mir mit, sodass ich den Brief endlich abschicken konnte. Heute bleibt seine Antwort noch aus, und wieder kehrt die Ungeduld zurück. Er ist doch zur Zeit der einzige Grund meines Daseins. Wie soll ich den Tag verbringen, während sein Foto vor mir auf dem Schreibtisch steht? Ein Foto, dass so viel Kraft und Liebe ausdrückt.
Wirst du dir meine Fahlheit einverleiben können, Giuseppe? Wirst du mich waschen im Strom deines Herzens, damit ich aus dem Wasser neu gebäre? Willst du mich noch einmal austragen und annehmen als ein Kind deiner Zeugung? Das ist die Kraft meiner Zuwendung zu dir: dass ich weiss, du kannst etwas Unwiderbringliches heil machen. Dies ist das Geheimnis meiner Liebe zu dir, mit welcher ich dir für deinen Auftrag ein Leben lang Zeit lassen möchte. Ich hoffe, dass Gottes Engel anwesend sein werden, wenn wir uns begegnen wie damals, als Jesus den Frieden in eine zerrissene Welt brachte durch seine Geburt, und dass sie mir helfen, dass du mich ohne jede äussere Veranlassung ganz fest lieb gewinnst. So tief triffst du mein Inneres nur schon über deinen lächelnden Blick auf dem Fotoabzug, weil alle meine Planeten und Teilpersönlichkeiten auf deinem Gesicht und deiner Brille, auf deiner Postur und deinem roten Shirt tanzen. Danke, dass du den Sturm in meinem Herzen spürst und zurückschreibst: „You’re a storm in my life, too.“
Christus, du weißt, wie kleingläubig ich bin angesichts meiner Selbst. Aber vielleicht lässt du Giuseppe wirklich wahrnehmen, was ich schon so lange suche. Vielleicht spürt er das Blut meiner fieberhaften Suche nach einer beseelenden Vereinigung? Danke, für die Flammen, die ihm aus mir entgegenstieben. Vielleicht ist er der Feuerdrache, der mich nachhaltig durchgart, bis ich dir ein hingebungsvolles Opfer bin. Amen.
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