
Da war die Therapiestunde bei Herrn... ich sage ihm nicht Doktor... PRANK. Diesen Namen habe ich schon mal für ihn gebraucht in einem Gedicht, das ich unter dem Pseudonym Samira Schimmel-Weiss verfasst habe – die Pferde gehen mir nicht aus dem Sinn. Ich sass still da mit meinen „gebundenenen Kräften“ und Herr Prank war nicht in der Verfassung, dieser „Gebundenheit“ still zuzuschauen. „Ich frage mich, was in Ihnen vorgeht, wenn Sie so still dasitzen“, forderte er mich auf. „Ich versuche die richtigen Themen aufzuspüren, welche im Moment mit uns beiden übereinstimmen.“ – „Ich mag keine Harmonie. Harmonie langweilt mich zu Tode.“ Und er demonstriert ein Gähnen. Ich mag seine kurzen Sequenzen der Selbstdarstellung. Sie wirken auf mich entwaffnend. Insofern sind sie, wenn er sie gebraucht, ein ungeeignetes Mittel, mich zu provozieren. Sie machen mich nur schüchtern. „Dissynchrone, lateinamerikanische Tänze faszinieren mich. Wenn Kaiser Ferdinand (o.ä.) mit seiner Sissi Walzer tanzt, ist das eine Schlaftablette.“ Dissynchrone Tänze erlauben eine Eigenbewegung der Paare. Ich bewege mich vom Partner fort und er springt mich überraschend aus der Gegenrichtung an, während Tangopäärchen hoffnungslos aneinanderkleben in sogenannter „Harmonie“. Herr Prank hebt die Arme, um eine latino-amerikanische Geste anzudeuten, weil ihm gerade so zumute ist. Und ich sitze zusammengekauert da und lächle ihn an. „Wie lebt ihre Familie den Power?“, forscht er weiter. Und ich suche unspontan mögliche, ehrliche Antworten auf eine dahinter liegende Frage. Schliesslich antworte ich dennoch vordergründig, aber so verzögert, dass der Therapeut innerlich mit den Fingern trommelt.
Er war schon vor der Stunde „nervös“. Ich bekam aus der Wartenische ein privates Telefongespräch mit. Die Praxiswohnung ist ringhörig (wie wir hierzulande sagen). Es war ein charmantes Power-Play mit einem Verwandten oder Bekannten, wo man versuchte für ein Treffen übereinzukommen, ohne allzu viel herzugeben: die Mitte wurde angestrebt, nicht zum eigenen Vorteil, sondern um möglichst viel Spannung zu halten in der Frage, wer eher das Sagen hat. Einmal lachte er sehr laut, vermutlich um Empörung auszudrücken.
Ja, ich kenne meinen „Freund“ schon über zwei Jahre – in der Therapiesituation. Ich kannte ihn nämlich vorher schon, und habe ihn immer bewundert. Schön, wenn sich eine solche Bewunderung über die Jahre hält und sich bereichert: einerseits durch die Brillianz der Person, andererseits durch seine menschlichen „Schwächen“. Auch diese seine Schwächen funkeln und brillieren. Meine Bewunderung ist heimlich und offenbar zugleich. Ich gestand sie in der ersten Stunde und erklärte auch die Ambivalenz, die für mich darin liegt. Meine Bewunderung geht „schicksalhaft“ auf meine Kosten – warum eigentlich? – weil ich mich selbst immer in den Schatten der Sonne setze. D.h. die Sonne wirft ja keine Schatten, sondern nur die Dinge, die dem Licht im Weg stehen, aber ich verstecke mich vor dem Licht, so wie ich jetzt hinter der geschlossenen Türe lauschen musste. Nachdem er mich hereingelassen hatte, sass ich ihm gegenüber. Und noch immer sass ich im Schatten der Sonne, die mich wärmte. Ich vermag mich nicht als Teil des Lichtes zu sehen, das in dieser Therapiepraxis leuchtet. Ich gehe dahin, weil mir dieses Licht gefällt. Aber dass ich mit Herrn Prank tanzen würde, das kommt energetisch natürlich nicht in Frage; schon gar nicht von seiner Seite her. Dennoch war es nicht unfair, dass er mit mir über das Tanzen sprach. Aber ich hatte darauf nichts zu entgegnen. Ich war einverstanden mit seinen Aussagen. Ich empfand sie hilfreich und luzide. Was war daran der therapeutische Prozess? Zu spüren, dass ich ihn mochte trotz meines Unvermögens und meiner Schrulligkeit?
Schade, dass ich meine Schrulligkeit nicht mutiger diesem herrlichen Mann entgegenzuhalten wage. Es ist mir, als würde er etwas verlieren, wenn er sich mit einem gequälten Narren lebhaft unterhält. Dann wäre er am Ende auch selber ein Narr. Und ohnehin, was müsste ich alles unkontrolliert aussagen, um diese lebhafte Unterhaltung anzukurbeln? Ich fürchte, es wäre schrecklich. Dabei verschweige ich nichts gezielt, im Gegenteil, ausser der Sexualität, die mir zu nahe geht im Gespräch mit diesem Therapeuten. Nein, selbst ein solches Gespräch wäre gangbar, nur würde es kaum spontan vonstatten gehen. Zumindest mein Einstieg wäre sehr gründlich reflektiert, wenngleich mein Ausdruck immer noch holpern würde. Aber ich glaube zu spüren, dass er das Thema nicht besonders mag. Ich müsste sein kraftvolles Lächeln opfern und womöglich mit dem rauhen Wind eines sachlichen Diskurses rechnen.
Spiele ich mit der Macht des Schwächeren? Könnte ich meine Bedrückung abwerfen? Ich will sie nicht abwerfen, sie ist mir ehrlich zu schwer dazu, zu vertraut, zu bergend, zu bedrückend. Ich will, dass er die Wolken hebt. Und das hat er in der letzten Stunde getan. Ich war nach der Stunde sehr ausgelassen und fand sein Verhalten einfach dick! Herr Prank hat die psychotherapeutische Theorie derart verinnerlicht, dass er sich in der Praxis die Freiheit nehmen darf, den ganzen Schultornister abzuwerfen, wenn ihn der Klient dazu veranlasst, und weicht dennoch um nichts von seiner gradlinigen Kompetenz ab. Er ist wirklich unheimlich genial. Womit habe ich ihn verdient? Wenn er mich auch nicht heilen kann, wozu er sich allerdings im Stande fühlt, dann bin ich wirklich austherapiert. Hat er mich dann lebenslänglich?
Übrigens sind alle Heiratskandidaten am Internet verstoben. Nicht Prank hat sie vertrieben, nicht meine Pferde, sie gingen von allein. Stefan II lässt nichts mehr von sich hören. Ich bin erstaunt, ehrlich erstaunt über die Abwesenheit einer konsequenten Absicht. Für einmal glaube ich nicht, dass ich zu wenig interessant bin. Andererseits habe ich natürlich auch nichts Verführerisches. Ist es so schicksalsbindend, wenn man allzu gewöhnlich/ungewöhnlich aussieht? Hat sich schon jemals einer in ein gequältes, leicht vorwitziges Angesicht verliebt? Ich meinersetis würde nie auf die Idee kommen! Und dann lese ich immer: „O Kommentare“ unter diesen Einträgen. Fühlt sich denn keiner ausser Dr. Prank berufen mir ein besseres Urteil über mich und mein Leben beizubringen? Oder ist, was ich sage, denn nichts als die Wahrheit?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen