Mittwoch, 31. Januar 2007

aquareell

Ich falle aus dem Gleichgewicht und gaukle heftig auf und ab wie ein Schmettling im Sturm. Finde ich einen schützenden Landeplatz, bevor die Schminke meiner Flügel zerronnen ist oder muss ich bald der Gnade des Himmels ausgesetzt bedrückt auf der schmutzigen Erde dahinpilgern? Ich tanzte gestern wieder einsam wie ein Schmetterling zu leidenschaftlichen Canzoni, Tränen liessen meine Farben verschwimmen und ich dachte mir die Hochzeit mit Giuseppe aus: Kein gesellschaftlicher Anlass, sondern eine religiös-kulturelle Veranstaltung in einer Offenen City Kirche, in welcher eben diese Musik (Claudio Baglioni) gespielt und wo getanzt und gebetet würde. Natürlich gäb’s eine Small Talk Bar, aber dort fände man mich nicht. Ich würde drei Stunden frei tanzen, mit hoffentlich ganz vielen, die wir einladen würden. Ja, auch mit Dr.Prank. Jeder Gast bekäme ein breites Stofftuch, das er sich mit Klett um den Bauch heftet mit seinem Namen und der connection. Bei Dr.Prank würde es heissen: „Silvan – Mein Heiler“, bei einer Freundin: „Mein schöner Schimmel“; bei meiner Familie gäbe es bewusste Versöhnungsbotschaften wie: „Il mio Papà“ (ich nenne ihn sonst nämlich beim Vornamen), bei meinem Bruder: „Il mio meraviglioso piccolo fratello“ und ich trüge die Aufschrift „Il marito di Giuseppe“. Ich stiess wirklich auf eine Quelle mittels dieser liebenden Empfindung und war sehr gerührt über das warme und weiche Wasser, das mir entströmte.
Aber mein Körperhaushalt geriet dadurch ein bisschen durcheinander. Ich fühlte mich plötzlich bleich, kraftlos und unterzuckert, wie eine alte Jungfer. Und nun erschien Giuseppe online. Er mag Claudio Baglioni nicht und schickte mir via iTunes „Nightwish: I wish I had an angel“. Das kraftvolle Metal Stück jagte mir ein wenig Angst ein, als ich es dann spät abends hörte. Die Männerstimmen schrien die Titelworte wie eine respektlose Forderung in den sakralen Raum. Die Frauenstimme klang sensibler, aber in meinen Ohren wenig vertrauenswürdig.
Der Online-Dialog mit meinem Angebeteten zog sich unendlich schleppend. Einmal bat ich Giuseppe, mir etwas auf Italienisch zu schreiben, und ich konnte es gut verstehen. Warum wechselte er auf Englisch zurück, wofür er an meiner Geduld gemessen für jeden Buchstaben Zeit brauchte? Es gab auch Missverständnisse. Er sprach etwas von "italienische Lieder übersetzen"? Wer soll übersetzen und wozu? Auch las er nicht alle Botschaften, wenn ich einmal gleich zwei hintereinander schreib, was auf msn Standard-Verhalten ist.
Vermutlich geht’s nicht so schnell mit seiner Übersiedlung ins Tessin. Er möchte, dass ich ihn für ein paar Tage in der Basilicata besuchen komme und bei ihm und seinem Vater wohne. Das entspricht nicht meiner Art, Ersttreffen durchzuführen. Ich treffe mich das erste Mal lieber in der Mitte der Wohnorte „für einen Kaffee“, wie man sagt. Giuseppe wird sich einige Tage nehmen, um meinen Brief zu beantworten, wie er mir auf meine Nachfrage zurückgab. Es braucht ja nicht viel, dass ich mich ein bisschen gebrochen fühle. Lieben wir einander immer noch?
Wir unterhielten uns auf diese Weise für zirka eine Stunde – es ist ja auch schön und vielleicht sogar „buddhistisch“, zwischen den Antwortpausen zusammen zu schweigen, auch wenn man vor der Mattscheibe anstelle eines Mandalas sitzt – dann musste ich los. Eigentlich wollte ich mich dem Fahrrad zum Treffen mit Jerry, aber nun eilte ich auf den Zug. Ich fühlte mich immer noch „unterzuckert“ und fürchtete, ein Ablöscher zu sein. Aber ich hatte nach einer Kontaktpause von einigen Wochen, wofür ich massgeblich war, Jerry’s Charm unterschätzt. Er hatte mich bald wieder instand gebracht und entpuppte sich als den gesuchten, schützenden Landeplatz für den feuchten Schmetterling. Nicht, dass er mich auf der Ebene des Gesprächinhaltes schonte: Er zielte sogar sehr direkt auf sehr persönliche issues. Und ich lächelte ähnlich verlegen wie beim Lambada Exkurs von Dr.Prank.
Aber die Engagiertheit im Gespräch wuchs schnell. Wir machten uns offenmütig Gedanken über die gegenseitigen Rollen. Ich hatte während der Krisen der vergangenen Wochen verdrängt und vergessen, dass wir keinerlei Zufallsbekannschaft waren. Vielleicht wiegt Jerry noch manch eine Liebschaft in allen Landen auf? Jerry, ich muss dir Recht geben. Du brachtest vieles auf den Punkt. Wirklich auf den Punkt. Ich bin zu stark geprägt durch philosophische Wahrheiten und religiöse Ideale, und unterschätze die Wirklichkeit und den jetzigen Moment. Auch deine dreidimensionale Wirklichkeit. Sowohl das Schöne, wie auch das Traurige von ihr. Ich möchte das Schöne fördern, indem ich es bewusster pflege. Ich komme nicht umhin, die Unsicherheit zu wagen, wenn mir dadurch solche Klarheit im Gegenüber widerfährt wie gestern mit dir. Und danke, dass du meinen Glauben an den ewigen Gott respektierst. Brauchst du ihn nicht wie ich auch? Und haben wir ihn nicht füreinander?
Nach einem zärtlichen Abschied, wo ich deine Finger hielt, wie heilige, lebendige Materie, fuhr ich mit der S-Bahn zurück und meditierte dich und deine intensive, liebende, bittende Ausstrahlung, die weitum ihresgleichen sucht.

Keine Kommentare: