Mittwoch, 31. Januar 2007

aquareell

Ich falle aus dem Gleichgewicht und gaukle heftig auf und ab wie ein Schmettling im Sturm. Finde ich einen schützenden Landeplatz, bevor die Schminke meiner Flügel zerronnen ist oder muss ich bald der Gnade des Himmels ausgesetzt bedrückt auf der schmutzigen Erde dahinpilgern? Ich tanzte gestern wieder einsam wie ein Schmetterling zu leidenschaftlichen Canzoni, Tränen liessen meine Farben verschwimmen und ich dachte mir die Hochzeit mit Giuseppe aus: Kein gesellschaftlicher Anlass, sondern eine religiös-kulturelle Veranstaltung in einer Offenen City Kirche, in welcher eben diese Musik (Claudio Baglioni) gespielt und wo getanzt und gebetet würde. Natürlich gäb’s eine Small Talk Bar, aber dort fände man mich nicht. Ich würde drei Stunden frei tanzen, mit hoffentlich ganz vielen, die wir einladen würden. Ja, auch mit Dr.Prank. Jeder Gast bekäme ein breites Stofftuch, das er sich mit Klett um den Bauch heftet mit seinem Namen und der connection. Bei Dr.Prank würde es heissen: „Silvan – Mein Heiler“, bei einer Freundin: „Mein schöner Schimmel“; bei meiner Familie gäbe es bewusste Versöhnungsbotschaften wie: „Il mio Papà“ (ich nenne ihn sonst nämlich beim Vornamen), bei meinem Bruder: „Il mio meraviglioso piccolo fratello“ und ich trüge die Aufschrift „Il marito di Giuseppe“. Ich stiess wirklich auf eine Quelle mittels dieser liebenden Empfindung und war sehr gerührt über das warme und weiche Wasser, das mir entströmte.
Aber mein Körperhaushalt geriet dadurch ein bisschen durcheinander. Ich fühlte mich plötzlich bleich, kraftlos und unterzuckert, wie eine alte Jungfer. Und nun erschien Giuseppe online. Er mag Claudio Baglioni nicht und schickte mir via iTunes „Nightwish: I wish I had an angel“. Das kraftvolle Metal Stück jagte mir ein wenig Angst ein, als ich es dann spät abends hörte. Die Männerstimmen schrien die Titelworte wie eine respektlose Forderung in den sakralen Raum. Die Frauenstimme klang sensibler, aber in meinen Ohren wenig vertrauenswürdig.
Der Online-Dialog mit meinem Angebeteten zog sich unendlich schleppend. Einmal bat ich Giuseppe, mir etwas auf Italienisch zu schreiben, und ich konnte es gut verstehen. Warum wechselte er auf Englisch zurück, wofür er an meiner Geduld gemessen für jeden Buchstaben Zeit brauchte? Es gab auch Missverständnisse. Er sprach etwas von "italienische Lieder übersetzen"? Wer soll übersetzen und wozu? Auch las er nicht alle Botschaften, wenn ich einmal gleich zwei hintereinander schreib, was auf msn Standard-Verhalten ist.
Vermutlich geht’s nicht so schnell mit seiner Übersiedlung ins Tessin. Er möchte, dass ich ihn für ein paar Tage in der Basilicata besuchen komme und bei ihm und seinem Vater wohne. Das entspricht nicht meiner Art, Ersttreffen durchzuführen. Ich treffe mich das erste Mal lieber in der Mitte der Wohnorte „für einen Kaffee“, wie man sagt. Giuseppe wird sich einige Tage nehmen, um meinen Brief zu beantworten, wie er mir auf meine Nachfrage zurückgab. Es braucht ja nicht viel, dass ich mich ein bisschen gebrochen fühle. Lieben wir einander immer noch?
Wir unterhielten uns auf diese Weise für zirka eine Stunde – es ist ja auch schön und vielleicht sogar „buddhistisch“, zwischen den Antwortpausen zusammen zu schweigen, auch wenn man vor der Mattscheibe anstelle eines Mandalas sitzt – dann musste ich los. Eigentlich wollte ich mich dem Fahrrad zum Treffen mit Jerry, aber nun eilte ich auf den Zug. Ich fühlte mich immer noch „unterzuckert“ und fürchtete, ein Ablöscher zu sein. Aber ich hatte nach einer Kontaktpause von einigen Wochen, wofür ich massgeblich war, Jerry’s Charm unterschätzt. Er hatte mich bald wieder instand gebracht und entpuppte sich als den gesuchten, schützenden Landeplatz für den feuchten Schmetterling. Nicht, dass er mich auf der Ebene des Gesprächinhaltes schonte: Er zielte sogar sehr direkt auf sehr persönliche issues. Und ich lächelte ähnlich verlegen wie beim Lambada Exkurs von Dr.Prank.
Aber die Engagiertheit im Gespräch wuchs schnell. Wir machten uns offenmütig Gedanken über die gegenseitigen Rollen. Ich hatte während der Krisen der vergangenen Wochen verdrängt und vergessen, dass wir keinerlei Zufallsbekannschaft waren. Vielleicht wiegt Jerry noch manch eine Liebschaft in allen Landen auf? Jerry, ich muss dir Recht geben. Du brachtest vieles auf den Punkt. Wirklich auf den Punkt. Ich bin zu stark geprägt durch philosophische Wahrheiten und religiöse Ideale, und unterschätze die Wirklichkeit und den jetzigen Moment. Auch deine dreidimensionale Wirklichkeit. Sowohl das Schöne, wie auch das Traurige von ihr. Ich möchte das Schöne fördern, indem ich es bewusster pflege. Ich komme nicht umhin, die Unsicherheit zu wagen, wenn mir dadurch solche Klarheit im Gegenüber widerfährt wie gestern mit dir. Und danke, dass du meinen Glauben an den ewigen Gott respektierst. Brauchst du ihn nicht wie ich auch? Und haben wir ihn nicht füreinander?
Nach einem zärtlichen Abschied, wo ich deine Finger hielt, wie heilige, lebendige Materie, fuhr ich mit der S-Bahn zurück und meditierte dich und deine intensive, liebende, bittende Ausstrahlung, die weitum ihresgleichen sucht.

Your Specs and Shirt

Die bewegte Zeit zieht sich weiter fort. So vieles müsste ich berichten, um mein Herz auszuschütten und um die Dinge nachher wieder fein säuberlich einzuordnen. Dieses Reinheitsbedürfnis ist auch, was mich religiös macht. Ich weiss, es ist schwierig, ein positiv verstandenes Schuldbewusstsein zu entwickeln. Aber es hängt mit dem Bedürfnis zusammen, die Erlebnisse innerlich und dankbar am richtigen Ort zu platzieren, und nicht unreflektiert davon auszugehen, dass zum vorne herein schon immer alles in Ordnung ist, was ich fühle, denk und tu. Meine Chats mit der Webcam waren jedenfalls neulich ziemlich gewagt. Immerhin, ich tat’s im Bewusstsein darüber, dass für den Himmel alles offenbar ist. Auf diese Weise traf ich Giuseppe wieder, und nun bin ich erst recht verliebt.
Meine "Animus Annalen" (ein Bundesordner, Worddateien und ein sehr kleines Notizbüchlein für das Internet) besagen, dass wir uns im Juni 2004 auf einer Internetkontaktseite kennengelernt haben. Giuseppes Horoskop kombinierte sich so wunderbar mit meinem (wir haben gradgenau denselben Waage-Aszendenten), dass ich ihm an sich genügend Gewicht und Aufmerksamkeit widmete. Der von Anfang an gegenseitig sehr romantisch gehaltene Kontakt versandete aufgrund von Sprachschwierigkeiten. Ich kann zuwenig Italienisch und Giuseppe war mit der englischen Korrespondenz überfordert, die ich initiierte. Und natürlich war da wieder das geographische Problem, das zwischen der Schweiz und Süditalien irgendwie aufzuheben gewesen wäre. Und noch ist. Nach Italien zu ziehen kommt für mich natürlich nicht auf die gleiche Art und Weise in Frage wie nach Deutschland, eben der Sprache wegen. Aber angeblich kann sich Giuseppe einen Wegzug aus Italien vorstellen. Das würde neue Perspektiven eröffnen, da es in der Schweiz ja auch einen italienisch sprachigen Teil gibt.
Ich spürte schon damals: der Mann ist ein Phänomen. Nicht nur, weil er äusserlich ein perfekter Projektionsträger meiner Sehnsüchte darstellt: viele Italiener tragen ja das archetypisch Väterliche und Mütterlich zugleich leibhaftig auf sich und im Gesicht, weil sie kindlich charmant lächeln können. Giuseppe hat aber auch ein Herz für Randständige und Aussenseiter, er arbeitet mit Behinderten. Darin sehe ich die Chance einer Akzeptanz für meine geprellten Seiten, bzw. Mankos, wie’s Dr.Prank eher interpretiert haben möchte. Ich brauche so etwas wie elterliche Nacherziehung, bzw. „Säuglings Nachbetreuung“. Das fordert doch tatsächlich viel Toleranz von einem Partnerkandidat: wer wünschst sich schon ein spätpubertierendes Baby zum Freund, der eine neurotische Abwehr entwickelt hat?
Das ist ja nur ein Teil von mir. Ein nicht zu unterschätzender aber. Und eben erst noch einen, für den ich mich lange Jahre verurteilt habe, und diesbezüglich immer noch unwirsch mit mir bin. Ich weiss aber auch, dass ich eine ehrliche und fair gehaltene Gefühlsqualität jemandem entgegen tragen kann, den ich lieb hab. Und dieses Liebhaben ist -–auf Distanz zumindest – bei Giuseppe sehr gross. Insider von Nik Morgen wissen auch über die Signifikanz dieses Vornamens für mich Bescheid. Einem „Josef“ ist das Vorwort im Buch gewidmet. Und diese „Josef-Geschichte“ wird im Buch verschlüsselt, aber ausführlich entfaltet.
Ausserdem ist Giuseppe religiös. Nicht Christ wie ich, sondern buddhistischer Lehrer. Ich bin überzeugt, wir würden zur mystischen Mitte beider Anschauungen vorstossen und darin vielleicht sogar gegenseitig ein bisschen anschmelzen. Ich will mich jedenfalls nun stärker mit dem Buddhismus auseinandersetzen und mein Italienisch aufbesser. Schon heute werde ich eine Bibliothek stürmen.
Ich habe Giuseppe einen Fragebrief zu senden versucht (ich hab noch keine funktionierende e-mail Adresse von ihm, wo ich Anlagen mitschicken kann) - in Basic English. Auf der Kontaktseite hat er mein „Sono innamorato di te“ erwidert: „Anch’io di te“. Nun muss ich natürlich wissen, wie ernst gemeint das ist. Spiel ist ja gut und recht. Das will ich auch. Aber es braucht ziemlich viel Logistik, bis wir zusammen unter einem Dach sind.
Ich bin ungeduldig und möchte in seine starken Arme fliegen. Der eine davon ist die ganze „Strecke“ über mit chinesischen Zeichen tätowiert: Vielleicht steht da übersetzt mein Name und meine Adresse drauf wie bei einer Passkontrolle? Gestern abend aber hiess es in der Gottesdienst-Lesung: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.“ Ich brauch mich also nicht zu „ereifern“? Wie mach ich das nur?
Heute abend lernte ich in der Offenen City Kirche einen Derwish Tanz und betrachtete es als Übung für die bevorstehende Verschränkung oder Umarmung der verschiedener religiöser Auffassung von Giuseppe und mir.
Die Ereignisse überstürzen sich diese Tage. Ich habe italienisch sprachige Lehrmittel, Musik CD mit Canzoni und englische Bücher über Sutras und buddhistische Imaginationsübungen aus Bibliotheken geholt. Eifrig übte ich mich im Sprechen und tanzte zu der gefühlsgeladenen Musik. Heute morgen stahlen sich gar Tränen ihren Weg auf die Matratze, als ich mit dramatischen, italienischen Liebesliedern geweckt wurde. Ich zerrinne im Gefühle der Verliebtheit und der Sehnsucht über die weite Luftlinie in den Süden zu dem Herzen dieses Menschen. „I’m struck by the love you have for me“, schrieb mir der Geliebte im kleinen Kontaktfenster. Und ich schrieb zurück: "It’s easy to love you. It’s harder to love me. But perhaps you are able to. I hope I get an opportunity to explain the way I feel for you.“ Online fand ich ihn heute nicht. Aber seine aktuelle e-mail Adresse teilte er mir mit, sodass ich den Brief endlich abschicken konnte. Heute bleibt seine Antwort noch aus, und wieder kehrt die Ungeduld zurück. Er ist doch zur Zeit der einzige Grund meines Daseins. Wie soll ich den Tag verbringen, während sein Foto vor mir auf dem Schreibtisch steht? Ein Foto, dass so viel Kraft und Liebe ausdrückt.
Wirst du dir meine Fahlheit einverleiben können, Giuseppe? Wirst du mich waschen im Strom deines Herzens, damit ich aus dem Wasser neu gebäre? Willst du mich noch einmal austragen und annehmen als ein Kind deiner Zeugung? Das ist die Kraft meiner Zuwendung zu dir: dass ich weiss, du kannst etwas Unwiderbringliches heil machen. Dies ist das Geheimnis meiner Liebe zu dir, mit welcher ich dir für deinen Auftrag ein Leben lang Zeit lassen möchte. Ich hoffe, dass Gottes Engel anwesend sein werden, wenn wir uns begegnen wie damals, als Jesus den Frieden in eine zerrissene Welt brachte durch seine Geburt, und dass sie mir helfen, dass du mich ohne jede äussere Veranlassung ganz fest lieb gewinnst. So tief triffst du mein Inneres nur schon über deinen lächelnden Blick auf dem Fotoabzug, weil alle meine Planeten und Teilpersönlichkeiten auf deinem Gesicht und deiner Brille, auf deiner Postur und deinem roten Shirt tanzen. Danke, dass du den Sturm in meinem Herzen spürst und zurückschreibst: „You’re a storm in my life, too.“
Christus, du weißt, wie kleingläubig ich bin angesichts meiner Selbst. Aber vielleicht lässt du Giuseppe wirklich wahrnehmen, was ich schon so lange suche. Vielleicht spürt er das Blut meiner fieberhaften Suche nach einer beseelenden Vereinigung? Danke, für die Flammen, die ihm aus mir entgegenstieben. Vielleicht ist er der Feuerdrache, der mich nachhaltig durchgart, bis ich dir ein hingebungsvolles Opfer bin. Amen.

Donnerstag, 25. Januar 2007

Lambada (Der Wagen 7)

„Ganz ruhig“, spricht der Reiter zu seinem Pferd, besonders wenn’s so brisk ist wie jetzt im ersten Schnee dieses Winters. Tatsächlich kehren die Pferde allmählich wieder zurück, die mich verlassen haben. Und nun wollen sie alle mit mir losstürmen. Aber ich kann nur eines aufs Mal reiten. Und das fordert mich zur Genüge, wenn es aufgrund der Kälte draussen so aufgeweckt oder „überstellig“ ist, wie wir hierzulande sagen.
Da war die Therapiestunde bei Herrn... ich sage ihm nicht Doktor... PRANK. Diesen Namen habe ich schon mal für ihn gebraucht in einem Gedicht, das ich unter dem Pseudonym Samira Schimmel-Weiss verfasst habe – die Pferde gehen mir nicht aus dem Sinn. Ich sass still da mit meinen „gebundenenen Kräften“ und Herr Prank war nicht in der Verfassung, dieser „Gebundenheit“ still zuzuschauen. „Ich frage mich, was in Ihnen vorgeht, wenn Sie so still dasitzen“, forderte er mich auf. „Ich versuche die richtigen Themen aufzuspüren, welche im Moment mit uns beiden übereinstimmen.“ – „Ich mag keine Harmonie. Harmonie langweilt mich zu Tode.“ Und er demonstriert ein Gähnen. Ich mag seine kurzen Sequenzen der Selbstdarstellung. Sie wirken auf mich entwaffnend. Insofern sind sie, wenn er sie gebraucht, ein ungeeignetes Mittel, mich zu provozieren. Sie machen mich nur schüchtern. „Dissynchrone, lateinamerikanische Tänze faszinieren mich. Wenn Kaiser Ferdinand (o.ä.) mit seiner Sissi Walzer tanzt, ist das eine Schlaftablette.“ Dissynchrone Tänze erlauben eine Eigenbewegung der Paare. Ich bewege mich vom Partner fort und er springt mich überraschend aus der Gegenrichtung an, während Tangopäärchen hoffnungslos aneinanderkleben in sogenannter „Harmonie“. Herr Prank hebt die Arme, um eine latino-amerikanische Geste anzudeuten, weil ihm gerade so zumute ist. Und ich sitze zusammengekauert da und lächle ihn an. „Wie lebt ihre Familie den Power?“, forscht er weiter. Und ich suche unspontan mögliche, ehrliche Antworten auf eine dahinter liegende Frage. Schliesslich antworte ich dennoch vordergründig, aber so verzögert, dass der Therapeut innerlich mit den Fingern trommelt.
Er war schon vor der Stunde „nervös“. Ich bekam aus der Wartenische ein privates Telefongespräch mit. Die Praxiswohnung ist ringhörig (wie wir hierzulande sagen). Es war ein charmantes Power-Play mit einem Verwandten oder Bekannten, wo man versuchte für ein Treffen übereinzukommen, ohne allzu viel herzugeben: die Mitte wurde angestrebt, nicht zum eigenen Vorteil, sondern um möglichst viel Spannung zu halten in der Frage, wer eher das Sagen hat. Einmal lachte er sehr laut, vermutlich um Empörung auszudrücken.
Ja, ich kenne meinen „Freund“ schon über zwei Jahre – in der Therapiesituation. Ich kannte ihn nämlich vorher schon, und habe ihn immer bewundert. Schön, wenn sich eine solche Bewunderung über die Jahre hält und sich bereichert: einerseits durch die Brillianz der Person, andererseits durch seine menschlichen „Schwächen“. Auch diese seine Schwächen funkeln und brillieren. Meine Bewunderung ist heimlich und offenbar zugleich. Ich gestand sie in der ersten Stunde und erklärte auch die Ambivalenz, die für mich darin liegt. Meine Bewunderung geht „schicksalhaft“ auf meine Kosten – warum eigentlich? – weil ich mich selbst immer in den Schatten der Sonne setze. D.h. die Sonne wirft ja keine Schatten, sondern nur die Dinge, die dem Licht im Weg stehen, aber ich verstecke mich vor dem Licht, so wie ich jetzt hinter der geschlossenen Türe lauschen musste. Nachdem er mich hereingelassen hatte, sass ich ihm gegenüber. Und noch immer sass ich im Schatten der Sonne, die mich wärmte. Ich vermag mich nicht als Teil des Lichtes zu sehen, das in dieser Therapiepraxis leuchtet. Ich gehe dahin, weil mir dieses Licht gefällt. Aber dass ich mit Herrn Prank tanzen würde, das kommt energetisch natürlich nicht in Frage; schon gar nicht von seiner Seite her. Dennoch war es nicht unfair, dass er mit mir über das Tanzen sprach. Aber ich hatte darauf nichts zu entgegnen. Ich war einverstanden mit seinen Aussagen. Ich empfand sie hilfreich und luzide. Was war daran der therapeutische Prozess? Zu spüren, dass ich ihn mochte trotz meines Unvermögens und meiner Schrulligkeit?
Schade, dass ich meine Schrulligkeit nicht mutiger diesem herrlichen Mann entgegenzuhalten wage. Es ist mir, als würde er etwas verlieren, wenn er sich mit einem gequälten Narren lebhaft unterhält. Dann wäre er am Ende auch selber ein Narr. Und ohnehin, was müsste ich alles unkontrolliert aussagen, um diese lebhafte Unterhaltung anzukurbeln? Ich fürchte, es wäre schrecklich. Dabei verschweige ich nichts gezielt, im Gegenteil, ausser der Sexualität, die mir zu nahe geht im Gespräch mit diesem Therapeuten. Nein, selbst ein solches Gespräch wäre gangbar, nur würde es kaum spontan vonstatten gehen. Zumindest mein Einstieg wäre sehr gründlich reflektiert, wenngleich mein Ausdruck immer noch holpern würde. Aber ich glaube zu spüren, dass er das Thema nicht besonders mag. Ich müsste sein kraftvolles Lächeln opfern und womöglich mit dem rauhen Wind eines sachlichen Diskurses rechnen.
Spiele ich mit der Macht des Schwächeren? Könnte ich meine Bedrückung abwerfen? Ich will sie nicht abwerfen, sie ist mir ehrlich zu schwer dazu, zu vertraut, zu bergend, zu bedrückend. Ich will, dass er die Wolken hebt. Und das hat er in der letzten Stunde getan. Ich war nach der Stunde sehr ausgelassen und fand sein Verhalten einfach dick! Herr Prank hat die psychotherapeutische Theorie derart verinnerlicht, dass er sich in der Praxis die Freiheit nehmen darf, den ganzen Schultornister abzuwerfen, wenn ihn der Klient dazu veranlasst, und weicht dennoch um nichts von seiner gradlinigen Kompetenz ab. Er ist wirklich unheimlich genial. Womit habe ich ihn verdient? Wenn er mich auch nicht heilen kann, wozu er sich allerdings im Stande fühlt, dann bin ich wirklich austherapiert. Hat er mich dann lebenslänglich?
Übrigens sind alle Heiratskandidaten am Internet verstoben. Nicht Prank hat sie vertrieben, nicht meine Pferde, sie gingen von allein. Stefan II lässt nichts mehr von sich hören. Ich bin erstaunt, ehrlich erstaunt über die Abwesenheit einer konsequenten Absicht. Für einmal glaube ich nicht, dass ich zu wenig interessant bin. Andererseits habe ich natürlich auch nichts Verführerisches. Ist es so schicksalsbindend, wenn man allzu gewöhnlich/ungewöhnlich aussieht? Hat sich schon jemals einer in ein gequältes, leicht vorwitziges Angesicht verliebt? Ich meinersetis würde nie auf die Idee kommen! Und dann lese ich immer: „O Kommentare“ unter diesen Einträgen. Fühlt sich denn keiner ausser Dr. Prank berufen mir ein besseres Urteil über mich und mein Leben beizubringen? Oder ist, was ich sage, denn nichts als die Wahrheit?

Freitag, 19. Januar 2007

Stefan II

Lieber Stefan
Ich nenne auch dich so, weil du vermutlich so heisst. Jedenfalls belegen das zwei verschiedene Quellen im Internet. Bist du derselbe Stefan, dem ich schon am 26. Dezember geschrieben habe? Du wohnst an einem andern Ort, siehst anders aus, schreibst anders. Habt ihr nur zufällig den Namen gemeinsam und meine Aufmerksamkeit, was Gefühle der Hingezogenheit anbelangt?
Auch dir will ich heute nicht direkt schreiben, sondern über diesen Kanal wie schon am dritten Weihnachtstag dem anderen Stefan. Was ist denn mit dem anderen Stefan, dass er hier nur noch als Vergleichspunkt fungiert und nicht mehr als zentrale Figur? Er ist damit beschäftigt, sich über einen Dritten (für ihn zur Zeit freilich der erste und einzige) Klarheit zu verschaffen und wünscht sich diesen Unterbruch. Bin ich untreu, wenn ich inzwischen meine Kontaktsuche fortsetze? Nein, ich entlaste ihn dadurch, denn ich habe zwar, Zitat: „einen Platz in seinem Herzen“, aber wenn ich ihn richtig verstehe eher als Busenfreund denn als ernstzunehmenden Heiratskandidat. Auch bei dir Stefan II liege ich (noch) nicht wirklich im Rennen, so nehme ich es jedenfalls wahr. Eher bin ich nach Kräften dabei, dich zu betören, und mittlerweilen gibst du leise Echos. Mann, seid ihr herrliche Kreaturen anstrengend. Für ein bisschen virtuelle Aufmerksamkeit wetze ich mir die Sohlen schartig. Ich muss mir hier gegenüber einer anonymen Leserschaft als Beichtabnehmer ein bisschen Luft verschaffen, Dampf ablassen aufgrund des geistigen Überdrucks.
Natürlich habe ich dir auch direkt geschrieben: Einen vernünftigen Brief in moderater Länge mit einer astrologischen Kurzanalyse deiner Person und unserer Beziehung, ganz nach der gewissenhaften Manier des Buchautors Nik Morgen. Und du antwortest so wortkarg! Aber ich weiss, ich darf das nicht werten. Ich such ja nicht in erster Linie einen Co-Autor für zukünftige Romane, sondern den besseren Teil von mir, der mich liebevoll ausgleicht (und umgekehrt), und meine Mängel und Exzesse in Relation setzt. Wenn du dich ebenso überschwänglich ausdrücken würdest wie ich, wäre das auch keine Kompensation. Vielleicht sind deine simplen Zeilen ein verlässlicheres Indiz für eine reale Freundschaft, als wenn auch du dir anmassen würdest, wie ich zu hellseherischen Projektionen und Versprechen fähig zu sein.
Einige der ersten Schmetterlinge in meinem Bauch wurden im zarten Alter von zirka 13 durch einen Wirtesohn in der Sekundarschule freigesetzt. Nun, 25 Jahre später gelange ich wieder an jemanden, dich, der im Wirtshaus tätig ist. Der frühere Schulkamerad wurde Fahrzeugmechaniker und heiratete. Auch er hatte eine unkomplizierte Realitätsverbundenheit, während ich doch eher hyper differenziert und –sensibel bin. Nein, neben einer schrillen Drag-Queen würde ich innerlich nur noch herumzappen; ich brauche solides, wenngleich fühlbares Holz für eine fröhliche, gangbare Liebe. Falls die Voraussetzung stimmt, dass du und ich, dass wir beide fröhlicher und zufriedener sind, mit dem richtigen Ausgleich an unserer Seite.
Und dennoch: Was getraue ich dir hier lediglich unter Anrufung von Zeugen eines halböffentlichen Publikums zu sagen? Dass mir eine ausführlichere Korrespondenz deinerseits doch sehr helfen würde, diese long distance relationship zu entwickeln und um die richtige Einstellung zu finden, dich im hohen Norden Deutschlands zu besuchen. Ich könnte dir vorweg soviel über mich erzählen und über dich erfahren, wenn du in diesem Bereich aufgeschlossener wärst und mehr Affinitäten darin hättest. Einmal mehr ist noch alles Spekulation. Ich komme nicht umhin, mir Vorstellungen über uns zu machen, weil deine Beteiligung, das Gemeinsame bereits zu spüren und zu erahnen, scheinbar kategorisch ausbleibt: „Ein Blick in die Augen sagt mehr als 1000 Worte“, schreibst du. Du hast zweifellos recht, aber auch ein einzelnes, intelligentes Wort vermag einen anzublicken. Und du schweigst dich über viele meiner Fragen aus und fragst selber nicht nur das Geringste zurück. Ich fühle mich im Stich gelassen über mindestens 500km Distanz. Allein muss ich sie bewältigen, überbrücken zu dir hin. Magst du diesem Aufwand standhalten?
Wir sprechen über eine Reise, meine Reise zu dir in den Norden, bzw. ich spreche darüber. Und du agierst als der unbewegte Beweger. Auf einem Video-Clip drehst du dich um 360° vor der Kamera, und ich habe es schon fast 365mal angesehen. Du kannst dich also bewegen, wenn auch langsam und statisch. Aber du verlangst nicht von der Kamera, dass sie sich um dich dreht, wie die Erde um die Sonne oder der Mond um die Erde. Und was ich da seh, ist natürlich... ekliptisch! Ja, aufgrund meiner Wahrnehmung und den damit verbundenen Gedanken und Gefühlen bist du natürlich diese Reise wert, denn solche Bilder sah ich vergleichsweise nur aus Amerika oder in den Strassen unserer Stadt, aber dort bewegen sich keine Inserate. Du hingegen stellst dich als ein Inserat: und zwar explizit als regenbogenfarbenes Freundschafts- und Beziehungsinserat. Mein Impuls kann nicht anders sein, als drauf begeistert zu antworten.
Als wie verlässlich werden sich meine Reflexionen zu deiner Erscheinung erweisen? Auch dieses Experiment wär die Reise wert: ich will fahren! Und dann teste ich hier ja gleichzeitg auch astrologische Erkenntnisse aus. Vor allem in der -->Synastrie zeigen sich Maken: wir haben wenige Kontakte zwischen persönlichen Planeten. Insgesamt sind die Entsprechungen, an meinen Vorstellungen gemessen, aber gut.
Ja, ich messe dich nicht absolut, ich messe dich an meinem individuellen Partnerwunsch. Und du wirkst auf mich wie ein königlicher Diener. Du scheinst mir beide Eigenschaften zu haben: das pronociert Männliche, das sich gegenüber der Welt gern als Herr der Schöpfung spiegelt. Aber andererseits zeigst du auch den reifen Schmerz im Umgang mit der Erfahrung, dass die Welt dich nicht immer wie ein König empfängt. In dieser Erfahrung scheinst du mir nahbar, und es ist schon richtig, dass du spürst, dass du mein König bist oder wärst. Bedingt dadurch nämlich, dass du auch dankbar zu dienen verstehst. Vielleicht werde ich wirklich bald deine Freundin?
Ist das alles, was ich dir im Moment indirekt sagen möchte? Nein, ich brauch noch ein paar Briefeinträge dazu. Ich werde wieder schreiben, einseitig, mit einer gewissen Routine schon, die ich mir mit anderen beigebracht habe. Aber gegenwärtig bleibst du als Kandidat einzigartig.
Ich würde meinen besten Freund aus der Nähe verlieren, falls ich wegzöge. Aufgeben würde ich ihn nie! Als bester Freund bleibt er konkurrenzlos. Aber du wärst der Gemahl. Wir wären, abgsehen von unseren gastronomischen und kulturellen Produktionen, ein sehr privates Paar; treu in der Rücksicht auf Gefühle, einander immer zu gehören, aber intellektuell neugierig und aufgeschlossen. Bitte entdecke, was ich dir geben kann. Wenn du willst bring ich neue Horizonte in den Norden. Vielleicht scheinen bald Lichter über unserer gemeinsamen Dachluke. Vielleicht schaust du bald weniger ins, statt durchs Glas an der Decke oder mit mir durchs Rohr. Nik

Mittwoch, 17. Januar 2007

Von Schädlingen und anderen Chancen (Der Teufel 15)

Immerhin etwas ist momentan perfekt, nämlich das Chaos. Was mich nicht alles bedrängt und durcheinander wirft. Ich bräuchte eine 100% Freistellung von der Arbeit um wieder Ordnung zu schaffen, aber dann würde alles nur komplizierter. Während ich Problemlösungen anstrebe, wächst der Misthaufen unbrauchbarer Ideen und Vorhaben in die Höhe. Das „Leben“ selber müsste helfend eingreifen mit einer überraschenden Wende oder der Tod und der Himmel müssten es tun. Aber wie kommt man dem Tod auf vernüftige Weise schneller näher als auf der regulären Zeitachse? Ich lebe sehr gesund. Eigentlich mit der Motivation um das im Rahmen zu halten, was momentan überbordet: nämlich das Leid. Gibt es keine Alternative zum Aushalten? Gibt es trotz all meiner Religiosität kein Heil?
Ich habe einen wunderbaren Therapeuten. Ihn gefunden und für mein Bestes gewonnen zu haben rechne ich mir selber hoch an. Seit einiger Zeit haftet ihm selber ein Leiden an: kein psychisches, sondern eine Rückenproblematik, für welche er Therapie benötigt. Ansonsten wirkt er unglaublich privilegiert: wie ein römischer Brunnen sprudelt seine Energie, sein Wissen, seine Einsicht, seine Gemütskräfte von einer vollen Schale in die nächste. Keine meiner Probleme bringt ihn in Verlegenheit, weil er die Überzeugung glaubhaft vermittelt, dass alles reichlich vorhanden ist, was zu einer Besserung beiträgt. Meine Gebrochenheit braucht mir nicht einmal selber leid zu tun. Mein Therapeut ist auch unheimlich fair. Nach gut zwei Jahren erlaube ich mir eine solche Bewertung. Er hält mich nicht fest, er verpflichtet mich nicht und fesselt mich trotzdem.
Chronos und Kairos. Auf diese beide Begriffe nahm er gestern Rekurs um mir die berechtigte Hoffnung aufzuzeigen: Der zeitliche Verlauf eines Menschenlebens hat einerseits seine Unerbittlichkeit darin, dass er unaufhaltsam dem Tod und dem Zerfall entgegen eilt. An ihm leidet der Mensch. Auch ich, der ich mich durch meine psychischen Gebresten in etlichen Versuchen zu reüssieren behindert fühle. Die Ursache sieht mein Therapeut unsentimental in einer verpassten gesunden Zuwendung in der frühen Kindheit. Oft komme ich mir wie ein gesprungener Krug vor, der im Wettbewerb mit intakten keine Chance hat beim Wasserschöpfen. Halbblinde Realisten sehen nur diesen Chronos. Mein kluger und unsentimentaler Therapeut räumt aber auch das Moment des Kairos in sein Weltbild, resp. in sein medizinisches Menschenverständis ein. Erwiesenermassen ergeben sich in der persönlichen Entwicklung günstige Augenblicke, etwas Unwiderbringliches nachzuholen. Wer kennt sie nicht, diese schwer zu beschreibenden unmerklichen und unmanipulierbaren Erfahrungen transzendentalen Glücks, Stärkung, heilsamer innerer Berührung? Auch mein Chaos und meine Zerrissenheit wird an der Unerbittlichkeit eines vorzeitigen Todes sterben, um sich in einem kairologischen Moment zu verwandeln. Für eine solche Erwartungshaltung gibt es offenbar wissenschaftlich vernünftige Grundlagen.
Eine Mücke kann einen Elefanten plagen und ein winziger Virus, dazu noch ein ganz harmloser, von welchen Zig-Tausende in der freien Atemluft zirkulieren, bringt mich zur Strecke, besonders wenn ich psychisch bereits angefochten bin. Ich habe dann so viele Probleme, ich würde mich am liebsten ent-sorgen. Heirat? Allein die Vorstellung verspottet mich höhnisch. Und dennoch möchte ich so gern in einem sicheren Boot übers Wasser fahren zum anderen Horizont. Wenn nötig eben allein. Aber bitte, Kairos, keinen gewaltsamen Tod in endlosen Raten, keine Kompromittierungen bis ich vollständig reduziert bin.
Ich puzzle mich wieder zusammen. Die Teile wirken halt- und schwerelos wie bunte Daunen, und ich fürchte jeder Luftstoss löst eine ästehtische Verzweiflung aus. Bis wann soll ich die Arbeit vertagen? Bis alles flach geregnet ist und am Boden klebt? Und was mach ich inzwischen mit dem Sonnenschein in diesem seltsam frühlingshaften Winter?

Dienstag, 9. Januar 2007

Sonne und Mond (Der Gehängte 12)

Immer wieder mache ich anhand von Eigenbeobachtungen interessante Erfahrungen mit der psychologischen Astrologie. Lunar und Solarhorskope (Monats- und Jahresprognose) fallen bei mir in diesen Tagen nahe zusammen mit einem bedeutenden Unterschied zwischen den beiden Sternbildern. Das Sonne-Mond Verhältnis (welches für Beziehungsfragen wichtig ist) steht im Jahreshoroskop deutlich besser als in diesem Monat, wo ich wieder einer Zerreissprobe ausgesetzt bin. Diese Zerreissprobe (im Horoskop durch ein Anderthalbquadrat zwischen Sonne und Mond wiedergegeben) ist bei mir grundsätzlich, nämlich auch in meinem Geburtshoroskop angelegt, allerdings und widersprüchlicherweise wird sie dort von einer Konstellation gekreuzt, die ein eindeutiges „Beziehungspotenzial“ anzeigt, nämlich eine Venus-Mond Opposition.
Nun droht mein Blog vollständig in esoterischen Jargon abzugleiten. Aber meine inneren Schnittmuster, aus welchen die Kleider meiner Seele gefertigt sind, sind nicht ohne „objektive“ Deutungsraster anschaulich zu machen. Und alles preisgeben möchte ich hier doch wieder nicht. Ich versuch es fair mir selber gegenüber und in nachvollziehbaren Worten auszudrücken: Die Zuversicht auf ein sattes Beziehungsleben konkurriert zur Zeit mit der verheerenden Erfahrung, die ich an Partnerschaft ganz klein von früh auf mitbekommen habe: das Verhältnis zwischen meinen Eltern nämlich, das in mir zum inneren Muster geworden und nur schwerlich, auch mithilfe qualifizierter Fachpersonen, zu überwinden scheint. Und dennoch stehe ich inzwischen immer wieder an der Schwelle dieser Überwindung. Noch einmal fühle ich mich gegenwärtig arg zurückgeworfen. Vielleicht wegen der lieb gemeinten Geburtstagspost meiner Familie? Und hier an diesem alten Ort, bin ich sogar absolut beziehungsunwillig. Wenn es gut kommt, bin ich an diesem Ort religiös, sprich hoffnungsvoll dem Mutterbauch des Himmels zugewandt mit der Bitte, dass er mich noch einmal zurücknimmt. Wenn diese Hoffnung auch nicht mehr möglich ist, dann bin ich ganz arm dran und fühle mich wie ein Gehängter.
Nur langsam fliesst die Flut neuer Möglichkeiten an meinen Strand zurück. Vielleicht hab ich es auf dieser Website bereits bewiesen: ich hab schöpferische Fantasie und daraus lässt sich auf aktiv formende Weise manches Leben in die Wege leiten. Nicht als Alternative zu einem realen Alltagsleben mit seinen Entwicklungsmöglichkeiten, sondern zusätzlich, als Joker sozusagen für die (zu?) Cleveren unter uns. Das Leben ist vielschichtiger als es sich Einsenbahnfreaks zugestehen, die von der Eingleisigkeit dieses Fortbewegungsmittels fasziniert sind.
Wieder ist Hans das verlängerte Wochenende bei mir, und er gibt mir viele Werte zurück, welche bei meinem Kampf am Galgen zu kurz baumeln: die Natürlichkeit und Einfachheit eines Menschen beispielsweise, der unter der Voraussetzung sich liebenden Eltern aufgewachsen und durch weniger emotionale Verunsicherung geprägt ist als ich. Ja, ein wenig gleicht Hans einer fröhlichen Lokomotive und seine erste Kindheitserinnerung ist eine Fahrt mit der „Spanisch Brötlibahn“. Erst gestern waren wir gemeinsam Zug fahren und ich las in einem Schwulenroman von David Leavit, dessen Eltern sich in einer Mischung zwischen verheerend und liebevoll zueinander verhalten haben, was der Autor psychologisch luzide, und unterhaltsam-entkrampft beschreibt. Ich bin gespannt, wie die Geschichte weitergeht. Auch meine Geschichte. Die Prognosen stehen nicht schlecht. Ausserdem bin ich ja fleissig dabei, auch noch den obersten Himmel (welcher ist das, etwa der siebte?) flehend zu beschwören, der jenseits aller sichtbaren Galaxien liegt. Besonders fleissig bin ich darin, wenn immer ich hier am Kreuz hänge. Ich hänge übrigens umgekehrt wie Andreas. Und mittlerweilen bin ich so langgestreckt, dass ich bereits wieder Gras unter den Fingerbeeren spüre.

Samstag, 6. Januar 2007

Müll (Der Tod 13)

Nun ist meine Befindlichkeit völlig in den Keller abgestürzt und meine Hochzeitspläne sind vernichtet. Ich kann die einzelnen Umstände hier nicht wiedergeben, denn dieses Journal ist ja nur halb-privat. Es erlebt wohl jeder hie und da, wie ein Fass von alltäglichen Widrigkeiten überlaufen kann. Ich nehm das jeweils viel zu persönlich, kann von den Gefühlen nicht abstrahieren und sehe mich selber in dem Fass. Mir fehlt dann eine schützende Haut und alles durchdringt mich, bis mir vollkommen übel ist. Die einzige Zuwendung, die ich dann toleriere, ist die Hilfe von innen durch Gott, nach dem ich mich ausstrecke. In solchen Momenten bin ich froh um mein Single-Sein, denn der Drang in die Isolation ist vehement. Nur im Alleingang kann ich scheinbar die böse Zeit überstehen.