Montag, 22. Oktober 2007

Solitüden

Ich erzähle mir, was ich erlebe und wie es mir ergeht. Denn ich bin mir mein engster Vertrauter und ich bin so vergesslich, dass eine aufbereitete Vortagsgeschichte ganz neu klingt, bzw. viele „Weiss du noch“-Effekte hervorruft. Also, was hat „unser zerbrochene Krug“ so alles mitgemacht in letzter Zeit?
Janosch war zwölf Tage weg. Für einen mit Kurzzeitgedächtnis eine Ewigkeit. Ich hab dich absichtlich verdrängt, Kleiner. Ich fühle mich so unzugehörig wie eine aus dem Adam herausgefallene Rippe und ich weiss, dass ich dir nicht in die Seite springen darf. Also hab ich dich dem lieben Gott zugeworfen und bin tanzen gegangen, gleich viermal innerhalb einer Woche. Einmal ins X-Akt in O im 70er, 80er Discoraum. Da wird es nach einer kurzen Alkoholisierungsphase, bei der ich mich natürlich "enthalte", bald ziemlich eng auf der Tanzfläche und leicht johlende Massenhysterien heben an. Hier hab ich praktisch keine Seele getroffen und ich komme auch nicht wieder.
Dreimal war ich in verschiedenen 5 Rhythmen Anlässen. Hier ist Tanz viel eher Ausdruck von Gebet; hier ist man weniger allein (einmal war sogar ein Freund anwesend), hier lässt sich die Sehnsucht, die Einsamkeit, der Protest ausdrücken. Manchmal wird zu Begegnungen im Tanz angeleitet, welche für mich sehr lose blieben und häufig irritierten. Einmal meinte sogar ein die Arme verrenkendes, gebückt schleichendes graziles Fräulein: „Du siehst aus wie Dornröschen“ zu mir, und ich lächelte dankbar zurück! Ich fühle mich eigenartig, dabei schreit meine Sehnsucht. Im Moment bin ich vor lauter Rätsel mir selber gegenüber wieder einmal ziemlich unglücklich und erscheine mir als ernst gemeinter Witz. Was soll ich als solcher verrichten? Was kann mit dieser Selbstwahrnehmung an Schönem und Wichtigem gelingen, vor allem im Beziehungsbereich? Ich geh mit dem Hals im Würgegriff herum und ich weiss, die Frage „Was mache ich falsch?“ ist falsch gestellt. Mein Glaube ist ein Schutzpaket, welches mich tröstet und ermutigt zu jedem neuen widersprüchlichen, sich selber negierenden Schritt. Ich schreibe zur Zeit viele Gebetsliedertexte und alle träumen von der Liebe zwischen Mann und Frau. Ich bin die letztere. Es ist ein Wunder, wenn etwas wird aus dieser Fluchtvorstellung, aus dieser Erfüllung.
Dr. Prank fordert mich gewagtermassen dazu auf, die Welt und ihre Möglichkeiten als das zu sehen, was sie ist und nicht durch die Zerrbrille meiner Komplexe. Ich verspüre für diese Möglichkeiten wenig Anreiz, zu sehr hoffe ich auf eine Auflösung meiner Sichtweise von innen her. Dabei wasche ich meine Haare schon lange mit Elsève Anti-Haarbruch Schampoo. „Innovation: Doppel-Reparatur innen + aussen“ steht auf der Flasche. Wie sieht denn meine Reparatur von aussen aus? Ich kann sie mir lediglich in Form deiner Offenbarung vorstellen.
Da smilt mich jemand aus einer Distanz von nur 100km auf einer Kontaktseite im Internet an (der „Rekord“ liegt etwa bei dreieinhalb Tausend Kilometer). Und was für einer. Einer, der alles hat nur keinen Glauben und den will er überzeugtermassen nicht, sonst wird es ZU viel an Privilegien. Er hat viele liebe Freunde, liebe Eltern und Geschwister, eine Karriere, seine Kunst... Nicht einmal einen Partner braucht dieser Single mehr zu seiner Erfüllung. Wir chatten stundenlang. Ich weiss, dass ich virtuell ein interessanter Kommunikationspartner sein kann. Aber Goya mag auch meine Bilder. Und meine Sehnsucht ficht wieder harte Kämpfe mit meinen Selbstzweifeln aus. Mir ist als würde ich innerlich durch einen sauberen Abfluss gleiten und nur mein Herzmuskel bleibt oben im Sieb zurück. Wie geeignet ist ein solches Lebensgefühl für Beziehungsarbeit? Sie setzt ein grosses Wunder voraus. Aber ich glaube an dieses Wunder, da ich es jeden Tag suche, erflehe und heraufbeschwöre. Ich bin gespannt, aber ich fühle mich schwer. Wann werde ich durch deine Ziellinie laufen, liebender Gott? Ist es ein Kokon, den ich spinne mit meiner Hoffnung auf dich oder schaufle ich ein Grab, in dem ich verwese? Bist du eine ambulante Klink und bleibst du zeitlebens meine einzige Betreuung? Soll ich mich noch oft unmöglich verlieben, bis es Zeit wird, meine verblendeten Augen zu schliessen? Es ist schade um die Wirkung meiner menschlichen Potenziale, dass ein solcher Deckel auf mir liegt. Es gäbe weltweit derart viel zu tun für die Befreiung destruktiver Ängste. Aber so wie es ist, bin ich froh, wenn ich nicht der einzige bin, der sich fürchtet.
Ich ging gestern zum Ersttreffen einer neu entstehenden Männergruppe, da „meine“ Männergruppe ja Minimalgrösse hat. Aber meine Liebessehnsucht hält mich davor besetzt, mich einzulassen. Der Leiter hat einen jesuanischen Namen und die Natur eines Urvaters wohnt in seinem Körper. Wir waren draussen und es wurde kühl, aber er drücke Wohlsein aus in seinen kurzen Hosen und blossen Füssen. Wieweit wäre er mich zu tragen in der Lage, inwieweit würde ich ihn dazu befähigen können in einer Gruppe? Für viel Geld würde vielleicht etwas zeitbedingt entstehen? Und wieder wäre es erkauft und keine Freundschaft.
Bald sehe ich dich wieder, Janosch, nach diesen zwölf Tagen. Wenn mein Herz sprechen könnte statt Blödsinn zu dichten! Hoffentlich werden dir meine Augen sagen, dass ich dich zu vergessen versucht habe, weil ich dich unglücklicherweise mag.

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