
Dieser Satz ist kein richtiger Satz, er ist Programm. Leider muss ich sagen, unser Beziehungsprogramm. Der Satz liesse sich noch verkürzen zu nur eben diesem kleinen Wort „leider“.
Statt dass ich dir erzähle, statt dass ich gratuliere, statt dass ich nachfrage; ich könnte einfach immer nur „leider“ sagen und wieder weggehen, fort-schreiten. Und mit diesem Wort würde ich jedesmal zielgenau den Kern unserer gegenseitigen Bezogenheit teffen: leider!
Das Programm hat sich zu einer fast absoluten Verhinderung entwickelt. Ver-wickelt wäre genauer, denn eine Ent-wicklung, ein Fortschritt (im anderen Sinn als von "weggehen") lässt sich dieser Verlauf nicht nennen.
Es ist mir nicht gelungen.
Mein Gott, wie schade ist das! Ich kann nicht einmal um Verzeihung bitten, ich kann nicht einmal „Entschuldigung“ sagen. Zuvieles ist blockiert und eingefroren. Wir stehen einander fast so tot gegenüber wie eine Uhr: nur noch die Mechanik läuft und stellt gegebenenfalls realistische Behauptungen auf.
Ist das nicht katastrophal? Aber so tragisch, wie ich das empfunden habe, ist es für mich nicht mehr. Denn ich erlebe sehr viele Auswege für uns beide. Man kann sich auch heiter verabschieden und in der frohen Erwartung, was wohl den andern - am andern Ende meiner Empfindung - erwarten wird. Es braucht keinelei Gemeinsamkeit um eine minimale Verbundenheit zu spüren.
Auf meiner Seite gibt es eine Überfülle potentieller Berührungspunkte mit dir. Du bist für mich „zentral“ gewesen, und zwar noch mehr als wie Eltern das für ihre Kinder gemeinhin sind, solange diese nicht erwachsen oder sobald sie wieder Kinder werden. Ich bin beides: ich bin sowohl "nicht erwachsen" als auch "wieder Kind" geworden. Und insofern bist du zentral geblieben, auch wenn ich bewusst in deine Peripherie gewandert bin. Ich gehe bis zum Äussersten, um meinen Kern zu finden. Du bist nicht mein Kern. Siehst du? Ich versuche dich zu entlasten, aber es gelingt mir nicht! Bitte missversteh' mich nicht (das klingt nun beinah schon ironisch): ich sag das ziemlich heiter, wenngleich nicht sehr volllkommen frei.
Es ist leicht, M, Lobreden auf dich zu halten. Es ist erstaunlich, wie gut du ausgestattet bist, mit allem, was man sich von einem „Menschen“ im echt bewundernden Sinn meint. Aber auch das muss mir misslingen, denn wir sind wie das Wetterbarometer: Entweder stehst du vorne, Mister Sonnschein, oder ich, der Regenjohnny. In Ausnahmesituationen stehen wir auf gleicher Linie in den Ausgangstoren (oder "Startlöchern") und sind auch dann noch in unterschiedlichen Räumen zuhause. Wir sind missgünstige Konkurrenten. Ich hatte immer den Eindruck, dass du dich dafür schämst, dass ich – intellektuell beispielsweise – nicht einwandfrei funktioniere, dass ich emotional verkorkst bin. Und ich gab reziprokerweise dir massgeblich die Schuld dafür. Ich sagte: deine Missachtung und deine Überlegenheit haben mich geknickt.
Ich war eine Fremdgeburt in dein Haus und du hattest keine Ressourcen zu verstehen woher ich kam. So akzeptiertest du mich als ein deiniger, aber ohne den Willen und die Kraft da genauer hinblicken zu wollen. Du sahst mich nur zahlenmässig und dem Umriss nach. Ich war eine Schablone an deinem Tisch und ich bin sie noch heute unter einem andern Dach.
Und auch du bist für mich eine Schablone, obwohl ich mich intensivst mit dir auseinandergesetzt habe. Mit meinem disfunktionalen Geist, mit welchem du dich niemals identifizieren würdest! Deshalb passt meine Schablone von dir auch nicht auf dich. Aber wenigstens ist sie schön gearbeitet, einfallsreich gestaltet und durch-komponiert. Deine Schablone von mir hingegen ist die absolute Armut, und mich in ihr zu betrachten deprimiert mich bis heute. Du bist ein gesunder, intelligenter Mann und deine Schablone von mir ist wahrscheinlich exakt(?!?), aber ich finde sie als absolut niederschmetternd. Diesbezüglich bist du mehr als nur ein Konkurrent für mich, du bist ein Richter, ein Scharfrichter, und alles mislingt mir vor deinem überlegenen Geist. Nicht weil du das Urteil sprichst. Sehr selten sogar ist deine Geringschätzung. Sondern einfach durch den Fakt, dass ich mit dir nichts, Nichts, nein, nicht einmal das Nichts! gemeinsam habe. Trotz vieler identischen Chromosomen. Früher machte mich das gefügig, lethargisch, willenlos, nutzlos, verfügbar, bereit zu allem, zu nichts, zum Opfer, zum Selbstopfer vor Gott. Heute mobilisiert sie den „Attentäter“ in mir. Deshalb weigere ich mich so aggressiv, an deiner Geburtstagsfeier teilzunehmen. Ich möchte, dass wir verschont bleiben. Ein utopischer Wunsch. Ich feuere meine Munition nicht ganz gewaltfrei ab. Lass mich dir dennoch aufrichtig Glück wünschen, wenn ich schon kaum dazu beitrage. Aber immerhin, so glaube ich, hab ich mein individuelles Glück aus unserer Gefährdung herausgelöst. Und wir sind, was uns immer und völlig unabhängig voneinander wichtig war: wir sind frei. Gefangen in unserer "Freiheit" einzig durch die Schablonen. Aber auch die werden noch aufgeborchen, wie es das Schicksal ist mit allen Gräbern. Daddy, ich bleibe erwartungsfroh um dich. Du bist zu schnell weise geworden. Mögest du auch darin Weisheit erfahren, wo du Lücken hast "mit Zwischenraum hindurchzuschau'n". Nur auf mich, das weisst du, ist nach wie vor "Verlass".
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