Dienstag, 10. April 2007

Ostergebet

Auferstandener Gott Jesus Christus
Du hast mich über die heiligen Tage vor dem Schlimmsten nicht verschont. Ich weiss nun nichts mehr von dir bitten. Jederzeit kann mich das Böse wieder heimsuchen.
Ich halte an dir fest, wenn auch mit grösseren Zerrformen der Liebe und ich werde auch dich nicht schonen können. Deine Feinde werden mir so nah stehen wie deine Heiligen und zeitweilig werde ich beide arg beleidigen.
Aus irgendeinem Grund willst du nicht, dass meine gesunde Seite siegt. Du magst nicht mein Retter sein, weder der Retter meines Geistes, noch meines Körpers oder Seele. Jetzt, wo ist das Verzagen über dein Leiden und Sterben im christlichen Kalender dem Triumph der Bezwingung des Todes weichen sollte, geht das Verzagen in mir weiter, weit über die Grenze des Zumutbaren hinaus. Ich bin ganz willenlos geworden und ich kann mir nicht denken, dass du darin eine besondere Gnade siehst. Es fühlt sich zermürbend und zum Himmel schreiend an.
All meine Orientierungsversuche kapitulieren. Ich weiss nichts mehr, weder was ich will noch wer ich bin noch was der Sinn und das Schöne im Leben ist; was es heisst gesund zu sein, zu helfen, sich zu freuen. Ich hab die ursprüngliche Würde meiner Freiheit verloren und beuge mich unter der Gewalt, die mich bedrängt.
Acht konkrete, honette Ambitionen hatte ich für mich formuliert. Nun hab ich keine mehr, nicht einmal die neunte, mystisch offene, nämlich dich. Aber ich halte an dir fest, denn ich habe keine andere Garantie. Nur ein paar Dinge möchte ich aussprechen. Setz mich nie mehr ab auf dieser Erde unter meinen Voraussetzungen; jemand besonderer sein zu wollen bei fundamentalen Vakanzen; nämlich weder einen gesunden, zumindest nach eigenem Empfinden liebenswerten Verstand, Gefühl oder Erscheinung zu haben. Meine Versuche, etwas Aufrichtiges und Faires uns beiden gegenüber zu gestalten und vorzuweisen, denn darauf drängt mein Inneres, schaffen für kaum jemanden etwas Verbindliches oder erstrebenswert Nachvollziehbares.
Du vermagst meine sinnlose Befürchtung, dass "man" mir übel will, nicht zu brechen. Du erlaubst sogar, dass sich die Grunderfahrung für diese Befürchtung wiederholt, bevor ich zwischendurch zur Besinnung komme. Ich verkündige dich nicht als der, der du bist, sondern als mein dunkles, furchtbares Geheimnis. Übt deshalb der Teufel „Belohnung“ an mir? Immer noch versuche ich mich verzweifelt gegen ein duales Weltbild zu wehren, weil ich weiss, dass es mitschuldig ist an meinem Leiden. Dennoch drängt es sich mir auf. Ich kann kaum mehr unterscheiden wer in mir wohnt: Du oder der Teufel, und damit besiegelst du ein schreckliches Versagen in mir. Ich wollte nämlich, ich habe versucht und strenge mich immer noch an, dass du gewinnst. Aber du lehrst mich, dass Anstrengung zwecklos ist. Genauso wie Nachgeben oder Reue. Es scheint zwar einen mutmasslich „richtigen“, aber keinen sicheren Weg zu geben, der dein Verbarmen verdient.
Ich lebe ganz nah jener Weltstadt mit dem höchsten Lebensstandard, aber ich werde gezwungen, alle Masstäbe, die mein Leben zu bemessen oder zu bewerten versuchen oder mit denen ich mich einzurichten und auszurichten versuche, zu zerbrechen und als nutzlos und irreführend wegzuwerfen.
Ich weiss nicht, was Sünde ist. Denn manchmal meine ich, dass es jede spontane Empfindung oder Lebensäusserung ist. Aber unter dieser Sichtweise wird Religion schädlich. Aber auch die Frage danach, was Gnade ist, ist schwierig. Ist mein flaues Gefühl im Magen, wo ich jetzt an dich denke, Gnade? Ist es der Kloss im Hals beim willentlichen Gedanken, zu dir zu gelangen? Sind es die seltsamen Träume in der Nacht, wo ich Züge verpasse oder auf weniger diskrepante Art und Weise anderen begegne als in Wirklichkeit? Wenn du aber das vollkommene Paradox bist und sich in dir alles auch in sein Gegenteil verkehrt, dann mag ich dich als Paradox nicht weiterdenken, denn ich bin alles andere als erhaben über die Dinge um mich her.
Am Schluss, am Ende aller Zunamis, Nobelpreise und Kriegsfeuerwerke, am Ende der Vernichtung oder Neuschaffung durch grüne Technik stehst nur noch du unverändert da. Du bist der unbescholtene Held, du bist mein Geliebter. Du bist schön entgegen aller traditionellen Darstellung von dir, du bist stark, du wirkst magisch. Ein Blick, nicht ein Wort, sonst wär ich längst ein Engel, denn wie oft hab ich inständig gebetet vor der Kommunion in der Messe, dass mich nur ein Wort von dir wieder gesund macht. Nein, aber ein Blick. Ich blicke dich an. So viele Jahre suche ich dich mit dem gebrochenen und flackernden Licht meiner Augen. Und auch das dürfen alle wissen, von denen ich doch immer unheilsam gleichgültig getrennt bleibe, meine Familie, meine Freunde, mit einer Ausnahme: Zögere mit keinem Augenblick deiner Macht, dass ich für immer bei dir bin. Ich möchte dich nie mehr im Sterben verleugnen, wie ich es schon tausendfach getan habe auf entwürdigenste Weise. Ich bin dir ergeben ohne dass ich je verstanden habe, was von Herzen geben heisst, weil ich zwar alles habe, gleichzeitig aber auch alles entbehre, was ich darunter verstehe, eine Person von Gottes Gnade zu sein, ein Mensch, der mit einem frohen Herz seine kleine Welt mit Gott gestaltet und regiert.

2 Kommentare:

sheagle hat gesagt…

vielleicht kannst du mit folgendem Musil-Zitat etwas anfangen:

Man darf nicht vergessen, dass die exakte Geistesverfassung im Grunde gottgläubiger ist als die schöngeistige; denn sie würde sich "Ihm" unterwerfen, sobald er geruht, sich ihr unter den Bedingungen zu zeigen, die sie für die Anerkennung seiner Tatsächlichkeit vorschreibt, wogegen unsere schönen Geister, wenn Er sich äusserte, nur finden würden, dass sein Talent nicht ursprünglich und sein Weltbild nicht verständlich genug seien, um ihn auf eine Stufe mit den wirklich gottbegnadeten Begabungen zu stellen.

aus: der Mann ohne Eigenschaften, rororo, S. 256

00 hat gesagt…

Liebe sheagle. Du bist wie immer die erste und häufig sogar die einzige Begleiterin auf meiner literarischen Pfad. Du brichst das Schweigen und findest für das, was ich sage, Worte intelligenter Betroffenheit. Nach zehnmal Lesen war ich endlich in der Geistesverfassung, das Zitat zu verstehen und nun schmeichelt es mir. Umgekehrt glaube ich aber nicht, dass Gott ledlich für hochdotierte Skeptiker verständlich ist, obwohl ich mich - um mir zu schmeicheln? - zu oft auch elitär ausdrücke. Übrigens: ich fliege auch in meinem neuen Eintrag, und du bist mir Vorbild, weil sheagle sich auffängt vor dem rauberischen Sturz. Du ahnst, wenn einer so frech ist, dann geht es ihm doch ziemlich gut.