Donnerstag, 3. April 2008

Oh!stern

Ich hab schon vor Beginn des Jahres kühn behauptet, dass es mir gut geht und dazu steh ich auch noch nach drei Monaten, wobei ich das ein wenig spezifizieren will.
Ein neues Steckenpferd von mir sind Pilgerfahrten auf meinem Drahtesel zu abgelegenen Kapellen in der – vorerst – näheren Umgebung (wozu gibt es Fahrradtransporte mit der Bahn?). Diese Unternehmung entspricht sehr meinem Naturell: ich brauche ja den sportlichen Leistungszwang, um mich vital zu fühlen; das ganze ist sehr religiös angehaucht, weil ich die Fahrt als eine Fluchtbewegung in Gottes liebende Arme empfinde, welche mich einstens definitiv umschliessen und drittens entspricht es einem konsequenten Umgang mit meiner grossen Einsamkeit. Eine dieser Kapellen liegt in der Region, wo meine erste Liebe verheiratet ist mit Kind. Ich hab die kombinierte Geburts- und Hochzeitskarte noch, und wenn ich sie anschaue erinnere ich mich unmissverständlich daran, weshalb ich so verliebt in ihn war. Kaum auszudrücken, was einem von diesem Bild ausgeht. Aber man ist ja Hobbyschriftsteller, man kann das schon ausdrücken!
Da ich einsam war auf meiner Fahrt, unterhielt ich mich fiktiv mit diesem Mann. Es ging ganz leicht; problemlos konnte ich ihm meine Probleme und meine grossen S/T/Rümpfe schildern. Aber vermutlich war ich schon traurig, dass ich nicht sein Freund – und wenn es 1 Freund unter 10 wären – sein kann. Wieso eigentlich nicht? Ich bin nach all den vielen „Arbeitssitzungen“ mit Dr. Prank und vorher mit Prof. Altherr nach wie vor verblüfft, wie manches - trotz meinen optimistischen und kreativen Anflügen zwischendurch - offensichtlich nicht funktioniert. Jedenfalls ziehe ich den fernen Liebengott unter keinen Umständen real lebenden, lieben Bärchen vor! Aber die Connection, die Connection finde ich nur zum allmächtigen Erbarmer. Mit allen andern ist es irgendwie foutu. (Cooles Wort, Sheagle, findest du nicht, und wieder mal so trippelsinnig wie „Strümpfe“, weil man es, nach Silben getrennt und frei übersetzt mit „Irrsinn tötet“ wiedergeben könnte. Ich bin nicht irr, aber meine Einfälle und Abstraktionen heben mich schon sehr aus lebendigen Kontexts heraus!)
Solch schmerzliche Widersprüche wiederholen sich auch immer noch mit Janosch. Gestern trafen wir uns zum Gruppenspiel und ich empfand mich wieder einmal ziemlich vollständig "ausgeblendet", "weggetreten" oder wie ihr das nennen wollt. Ich stehe dann nicht als Sozialwesen in der Gruppe, sondern bin ständig mit unauffälligen Manövern beschäftigt, um davon abzulenken, dass in mir eine unscharfe Dynamitstange gezündet ist mit einer kilometerlangen Lunte, die mich bündelt. Wem wünscht man eine deartige Selbstwahrnehmung? Höchstens sich selber, damit man das Gefühl hat, jemand besonderer zu sein.
Jedenfalls musste Janosch – es ist immer Janosch, alle wollen Janosch, wenn man einen Kapitän ohne Tätowierung braucht... Also, Janosch musste sich aus der Gruppe Leute wählen für ein Spiel. Und er wählte – trotz respektablen Auswahlmöglichkeiten – als ersten: mich! Ich weiss nicht, was dich dazu bewegt hat, kleiner König, vielleicht spürtest du Erbarmen oder du hast ein Herz für die Komischen unter uns, jedenfalls befreitest du mich damit aus dem sozialen Tod. Ich war schon ganz taub geworden, mein Hirn pulsierte nur noch ganz dumpf, meine "Persönlichkeit" war auf Urlaub. Ich war so versunken, dass ich dich weder anblickte, noch dir sonstwie dankbar war, aber wieder einmal traf mich aus der Ferne dein Strahl. Ich stellte mich hinter dich, aber ich spürte nicht, dass du anwesend warst. So still können Mitmenschen leiden in völlig oberflächlichen Situationen. Die Ferne zu dir, wie zu allen Menschen, die ich brauche, ist eine Qual, und dir kann ich mich in keinster Weise erklären. Aber ich behaupte hier einfach einmal sinnlos: Wir, kleiner König, du und ich, wir werden einst in einem unbegrenzten, schmucken Raum zusammensein; wir werden unsere Seelen kurzschliessen und in den Luftkorridoren wird daraus eine Fülle hübscher Filmbänder abgespielt. Aber in diesem Leben werde ich dir unerklärlich und fremd bleiben. Wieso eigentlich?
Es spricht gegen jede Wahrscheinlichkeit! Ich hätte es niemals für unmöglich gehalten, dass ich ausser Johannis (Gott segne ihn) keinem Menschen, die ein Stück meiner Heimat in sich tragen, in die Nähe einer realen, harmonischen Berührung zu treten vermag. Es ist wie der unsichtbare Panzer-Glas-Schleier eines Unberührbaren um mich. Psychologisch längst(!!!) durchschaut und durchgearbeitet. Es ist schlimm. Gut geht es mir trotzdem.
Ich hab noch einen Freund und zwar den einzigen, den ich von meinem persönlichen Umfeld hier mit realem Namen nennen werde, denn ihn, dich, Carlos, brauche ich nicht zu schützen, nicht wahr? Du bist geschützt durch das Demoklesschwert des Todes, welches der U.S. Staat seit über zehn Jahren mutig über dir schwingt. Du sitzt auf 3,2x2m2 Todeszelle im Polunsky Unit Gefängnis, und du bist, weil die Unmöglichkeit dafür genügend wahrscheinlich ist, mir sehr nah; jederzeit steht meine Wohnungstüre für dich offen. Komm, trink Kaffee mit mir. Dir bin ich ein guter Gastgeber, du bist mein einziger Gast, die Gespräche mit dir sind bestimmt ergiebig. Ich möchte die Freundschaft mit dir ausbauen, denn ich vermisse auch dich: sehr! Und dich möchte ich sogar teilen, ich möchte, dass auch andere so intensiv wie ich spüre, wie liebenswert du bist, denn es tut mir leid, dass du so allein bist!