Donnerstag, 22. Februar 2007

Die Handwaschung (vgl. Lk 7,37)

Lieber Pater K
Eine Sehnsucht wird sich ganz bestimmt nie erfüllen: Dass ich Ihnen nah sein darf als Ihr Freund. Und gerade aufgrund des Mangels an dem, was ich mir als das Schönste vorstelle - warum es das Schönste ist, wird vielleicht im Verlauf dieses Briefes deutlich - wende ich mich wieder an Sie mit einem Körper voll Gedanken und Gefühlen. Ich halte Ihre Hand während ich all dies sag, ganz ohne Rücksicht auf Ihre abgeneigte Empfindung, denn ich will den Kontakt zum lieben Gott spüren und Sie sind Mönch, ein Mann Gottes, der liebste Mönch, den ich kenne, schon ein halbes Leben lang.
Eigentlich müsste ich nun gar nichts mehr erzählen. Jetzt wo ich Ihre Finger spüre, Ihre Handinnenfläche, diese Empfindung reicht so tief, dass ich bereits am Ziel bin. Ich bin im lebendigen Austausch mit dem Eigentlichen, hier erfahre ich Kraft, Schönheit und Mut und nur mit einem grossen Seufzer lasse ich Sie irgendwann, wenn überhaupt wieder los, denn ich möchte hier bleiben in der Nähe Ihrer schwarzen Kutte, in der Nähe Ihres massiven Kopfes, der wie eine ideale Büste geformt ist, aber deren Geist in diesem Kopf lebt, ein Geist, der mit einem so markigen Gemüt geladen ist, dass niemand sich das Bedürfnis einzufordern getraut, in Ihre Aura einzudringen. Wie gern wäre ich eine Fliege, die sich auf Ihrer Gesichtshaut, Ihrem Haar absetzt, verscheucht wird, und immer wiederkommt, bis Sie zu einem Stierkampf entbrennen. Und wenn Sie diesem Kampf erliegen, weil Sie älter und weniger wendig sind als ich, die Fliege, dann richte ich Ihnen das Kissen am Kopfende und hebe ihre schweren Beine in die Koye und decke Sie zu. Pater, Sie sind mein Wunsch, ein Diener zu sein wie Jesus.
Ich war so entmutigt durch die Tage einer leichten Erkältung, so wenig braucht’s, dass ich innerlich aufs Existenzminimum absinke und nichts mehr vollbringe. Aber nun halten Sie die Hand auf meinen Nacken und alles ist gut. Ich war nicht richtig fröhlich, als mein bester Freund Johannis bei mir war und ich war enttäuscht, dass ich die Freundschaft nicht recht feiern konnte, zumal ich ihn so gerne mag und nicht allzu häufig sehe. Auch vermochte ich im Todesfall, der sich in seiner Famlilie ereignet hat, kaum hilfreich zuvorkommen; so häufig schein ich selber belegt zu sein mit eigenen Todesfällen, mit der Unfähigkeit, die Schale meiner Bedrücktheit abzuwerfen. Und dennoch war Johannis eigentlich froh und zufrieden über die Tage bei mir.
Nein, ziehen Sie die Hand nicht weg. Wenn Ihnen die Stellung unangenehm wird, lassen Sie mich die andere Hand spüren. Ich erwarte nicht, dass Sie sie heben und hinhalten, damit ich meine dazu einflechte in die Geste eines Gebets oder in den Lungenbaum, in deren Äste der Austausch von sauerstoffarmen und sauerstoffreichem Blut stattfindet. Ich liebäugle ja damit, ein hervorragendes männliches Gegenüber in meinem Alter für mich zu finden, mit dem ich mich verbinden möchte. Und es drängt mich Ihnen zu sagen, wieviele Kompromisse ich auf diesem Weg auf virtueller Ebene eingehe. Liebe und Sexualität verzahnen sich in den seltenen Fällen so harmonisch und uneigennützig oder besser: so verlustarm wie die Lungengefässe für den Sauerstoffaustausch. Aber ich mache interessante Grenzerfahrungen und lege immer wieder einmal Zeugnis ab für meine Sehnsucht nach Gott, der die Liebe ist. Nun würden Sie mich gern entlassen, weil Sie spüren, wie unangenehm mir dieses Geständnis ist. Bitte bleiben Sie, geben Sie uns die Zeit, bis meine Uneinigkeit vergeht und Ihre Abkehr ebenfalls. Halten Sie aus, ahnen Sie, wie wichtig Sie mir sind. Sie spüren, nicht wahr, dass Ihr Ursprung aus Gott für mich offenbar ist. Fallen Sie bitte nicht aus Seinem Erbarmen.
Gestern hat mich ein Mann im Chat gebeten, ich soll ihm genau beschreiben, wie ich in ihn hinein gelange und verbunden mit ihm in ihm lebe. Sie sehen, die Sehnsüchte im Internet sind nicht frei von tief spirituellen Inhalten. Natürlich wollte ich ihm das nicht schildern, so unvertraut wir uns noch waren; wir hatten zum ersten Mal Kontakt. Ich wäre aber gern zu so dieser Unterhaltung bereit gewesen, wenn ich gespürt und geahnt hätte, dass wir uns lieben. Aber ich konnte ihn nicht einmal richtig sehen auf den spärlichen Fotos und er wurde im Gespräch immer wieder unterbrochen. Da war zuwenig Hingabe für die Thematik. Und so rasant wechseln die Gesprächspartner. Es kommt kaum vor, dass ich mein Begehren richtig verankern kann.
Ich unterbrach gestern mein Treiben mit einem Gottesdienstbesuch. Der Pfarrer, uralt, klagte, wie viel in diesen Stunden und Tagen gesündigt wird, wo wir uns für Aschermittwoch rein halten sollen. Welche Bilder waren ihm wohl gegenwärtig von diesen vielen Sünden? Bin ich naiv, aber ich habe den Eindruck, dass wir Menschen uns nach Kräften bemühen. Selbst ich, der ich kaum mehr erreiche, als eine unterschwellige Erkältung einigermassen unbeschadet zu überstehen, was meine Lebensmotivation anbelangt. Wozu dieses greisenhafte Donnerwetter? Aber die Worte, die schon so lange an einer Überzeugung haften, hatten Kraft.
Zuhause fand meine Heilssehnsucht eine DRS „Doppelpunkt“ Sendung im Internet: „Hilft beten in der Krankheit?“ Die hochkarätigen Gesprächsteilnehmer schlussfolgerten ein deutliches Jein. Ein atheistischer Immunologe mit einer Religionsphobie hatte ein paar deftige Einwände, die kaum von der Hand zu weisen waren. Sogar ein wissenschaftlicher Test zeige, dass das Fürbitten einer Gebetsgruppe in einer schweren Krankheit sogar schadet?! Die religiösen Zeugnisse erwiesen sich mit sehr viel Vorbehalten als stichhaltig: die Betroffenen haben nicht sehr weit gedacht, und auch ein Kapuzinermönch drückte sich schwerfällig aus. Er konnte nicht einmal fliessend Vorstellungen vom Himmel formulieren. Gottes Erbarmen hielt sich ungemein zurück in dieser Sendung. Am glaubwürdigsten war eine, wie sie sich bezeichnet „spirituelle Hebamme“, welche dank ihrer gemütshaften Mütterlichkeit am ehsten zu berühren vermochte ohne dabei naiv zu wirken. Sie sprach Hochdeutsch mit slavischem Akzent: Die Freude an der eigenen Geschöpflichkeit und daran, sich als ein geliebtes Wesen zu empfinden ermutigt uns. Weiter ins Numinose stieg sie nicht auf.
Meine Odysee wirkt endlos. Sie macht momenthaft Spass, nicht nur in ekstatischen Momenten, sondern auch da, wo ich die Kraft unter oder durch das Leiden hindurch spüre. Aber ich bin von einer offenen Lebensbejahung noch viele Inkarnationen weit entfernt, und vor allem möchte ich niemals wiederkehren. Ausser: Wenn Sie mir in einer Umarmung vermitteln, dass auch Sie das Leben entschlossen bejahen aufgrund einer Liebe, die Sie weit übers Existenzmimum hebt. Am liebsten von allem möchte ich erfahren, dass Sie a) glücklich sind und zwar nicht nur „gelegentlich“, wie Sie einmal sagten und b) warum Sie es sind. Und ich bitte Sie, mir dieses Geheimnis ins Ohr zu flüstern, wenn ich sterbe, denn dann vollbringen Sie an mir ein Wunder.
Danke! Ihre Hand, wenn ich darüber fahre, mit leichtem oder mit festem Druck, fühlt sich unbeschreiblich(!) an, Nik